Liebe Freundinnen und Freunde Sanko-jis!
>
> Ich hoffe ihr und eure Familie seid wohlauf und ihr könnt gut mit den
> veränderten Lebensbedingungen umgehen.
>
> Die tägliche Praxis hier geht weiter, Zazen, Holz machen, den Garten
> vorbereiten, die Gartentreppe fertig bauen, … Dies alles in einem,
> wunderbar blühenden Umfeld inmitten des Belchenpanoramas, unter einem
> stahlblauen Himmel ohne Flugzeuglärm und inmitten noch grösserer
> Stille als sonst. Eigentlich sehr gute Bedingungen, doch leider kann
> ich die Praxis hier nun nur alleine fortsetzen.
>
> Das Karwochennaikan musste ich absagen, eine Ausnahmegenehmigung war
> bei der Polizei nicht zu bekommen. Es einfach „illegal“ zu tun, wäre
> gefährlich für das Zentrum gewesen, denn es ist noch ruhiger im Tal
> geworden, die Menschen noch mehr in Rückzug, Coronainfizierte im Tal –
> die Sorge kriecht in die tiefsten Winkel des Schwarzwaldes.
> Viele Menschen sitzen nun zuhause, die einen können die geschenkte
> Zeit nutzen für die Selbstreflexion oder Zazen, die anderen werden
> aktiv und schreiben lange mails, wie ich (hihihi), um den anderen zu
> zeigen, dass sie im home office auch noch unglaublich produktiv und
> eloquent sind, und andere stürzen ab, weil sie nicht für diese social
> distancing Situation gerüstet sind.
>
> Ich habe lange gezögert überhaupt einen newsletter zu schreiben, da
> die Mailflut von überall zunimmt und mails immer länger werden. Weil
> die Sorge, die ungewohnte Situation oft zu noch mehr Aktivismus führt
> (online Zazen, online coaching, webinairs für dies, Tutorials für das
> und dies, Ratschläge hin und her).. da wollte ich nicht auch noch
> mitmachen…. und nun, denke ich ein paar Fragen zu stellen, Gedanken zu
> teilen, könnte sinnvoll sein. Aber ich teile das mail in zwei
> Abschnitte – 1. Abschnitt kurz und wesentlich für alle, die klar und
> ruhig und gut zurechtkommen mit der Situation – und im 2. Abschnitt –
> Fragen, Gedanken, zum Thema „Was passiert da gerade – Seuche, Angst,
> Aktivismus?“ u.a. von Kodo Sawaki, dem Philosophen G. Agamdem, Olga
> Tokarczuk, Shoken Winecoff, mir, u.a.
>
> *1. Wesentliches* – Shikantaza – aufhören zu reden und aktivistisch zu
> werden, einfach nur hinsitzen – ist das, was am besten zu tun ist,
> weil die Praxis ohne Anfang und Ende ist, die Gegensätze und das
> Universum umschliesst, auch das Virus, die Coronakranken, die sich
> Fürchtenden, die Kritiker,…
>
> Also geht die tägliche Praxis in Sanko-ji weiter, gemäss unseren
> Bodhisattvagelübde – gerade jetzt! Und auch die Sesshins gehen erstmal
> weiter, aber nur mit Menschen die schon mal hier waren, einfach tief
> praktizieren wollen, ihr Essen selbst mitbringen, selbstverantwortlich
> handeln und sich an die vorgegebenen Hygiene/Abstandsregeln halten, da
> das sicher noch weniger sind als bisher – Praxis mit max. ein/zwei
> Dharmaschwestern/ -brüdern – sollte dies legal und flexibel
> durchführbar sein. Machen wird das so einmal – Nächstes Sesshin:
> *30.4-3.5.! Bitte baldigst anmelden! *
>
> Es zeigt sich, dass die Idee Sanko-jis, die Buddhist. Praxis innerhalb
> kleiner, überschaubarer Strukturen mit hoher Intensität anzulegen, in
> die richtige Richtung geht, doch in dieser Situation wird selbst das
> schwieriger…..!
>
> Gerade in schwierigen Zeiten zusammen Zazen praktizieren, das trennte
> schon immer die Spreu vom Weizen. Das können nur die Dharmaschwester
> und – brüder, die sich einfach hinsetzen und voller Vertrauen das
> Universum Zazen machen lassen. Habt Vertrauen in Zazen und einfach
> weiter machen! Das Universum tun lassen, Atemzug, einfach Sitzen,..!
>
> *2. Abschnitt: *Die Lockdown-Situation macht es also unmöglich in
> Sanko-ji und anderen buddhist. Zentren Naikan, Zazen zu machen oder
> andere Veranstaltungen durchzuführen. Sinn und Zweck Sanko-jis, immer
> allen Übenden Zuflucht zu bieten, sind sehr eingeschränkt worden. Wie
> gehen wir damit um? Auf der anderen Seite hätten die Menschen nun Zeit
> zu praktizieren, zu reflektieren und so etwas spirituell und
> gesellschaftlich essentiell Wichtiges zu tun. Die Gesellschaft würde
> davon absolut profitieren, warum ist dies nicht möglich? Was treibt
> unsere Gesellschaft dazu, dies zu verhindern?
>
> Zunächst möchte ich klar feststellen, dass ich sehr froh bin in
> Deutschland zu leben, eine handlungsfähige Regierung, Verwaltung zu
> haben, die alles im Griff hat, Menschen, Politiker, Beamte, die sich
> aufopfern; ein tolles Gesundheitssystem mit Ärzten/Pflegern, die alles
> geben, vieles riskieren; soziale Absicherung, etc…., auch das
> Wirtschaftssystem wird es wegstecken…. Vielen Dank! Nine bowsl! In
> solchen Momenten kann man alles das erst so richtig schätzen. Ich
> stehe also grundsätzlich hinter den Entscheidungen der Regierung. Auch
> bin ich kein Anhänger von Verschwörungstheorien ….
>
> Aber um mit den Worten von Georgio Agamdem zu beginnen, hier ein
> Auszug aus einem Zeitungsartikel vom 08.04. /NZZ:
>
> /Wie konnte es so weit kommen, dass angesichts einer Krankheit,
> deren Schwere ich nicht beurteilen kann, die aber bestimmt keine Pest
> ist, eine ganze Gesellschaft das Bedürfnis verspürte, sich verpestet
> oder verseucht zu fühlen, sich in den Häusern zu isolieren und die
> normalen Lebensbedingungen zu suspendieren, also ihre
> Arbeitsverhältnisse, ihre Freundschafts- und Liebesbeziehungen und
> sogar ihre religiösen und politischen Überzeugungen? Wie konnte es
> geschehen, dass von einem Tag auf den anderen jeder auf sich selbst
> und auf die anderen blickte, als wäre er, als wären sie blosse Agenten
> der Ansteckung, die ihr Gesicht mit einer Maske zu bedecken und einen
> Sicherheitsabstand von zwei Metern einzuhalten hätten? Es scheint mir
> notwendig, darüber nachzudenken.
>
> Offensichtlich ist es so, dass es die Seuche irgendwie, wenn auch nur
> unbewusst, bereits gab. Die Lebensbedingungen müssen zu solchen
> geworden sein, dass ein plötzliches Zeichen genügte, um sie als das zu
> erweisen, was sie waren – sprich: unerträglich, eben als eine Seuche.
> Und dies ist in gewisser Weise das einzig Positive, das sich aus der
> gegenwärtigen Situation ziehen lässt: Es ist möglich, dass die
> Menschen sich später zu fragen beginnen, ob ihre Lebensweise die
> richtige war.
> Aber auch über das Bedürfnis nach Religion, das die Situation
> zum Vorschein bringt, sollte man nicht weniger nachdenken. Ein
> Hinweis darauf ist eine dem eschatologischen Vokabular entlehnte
> Sprache, die im hämmernden Diskurs der Medien in geradezu obsessiver
> Art und Weise wiederkehrt und das Ende der Welt heraufbeschwört. Es
> ist, als hielte das religiöse Bedürfnis, das die Kirche nicht mehr zu
> befriedigen vermag, tastend nach einem anderen Aufenthaltsort Ausschau
> und fände denselben in derjenigen Religion, die längst zur wahren
> Religion unserer Zeit geworden ist: der
> Wissenschaft…./https://www.nzz.ch/feuilleton/giorgio-agamben-zur-coronakrise-wir-sollten-uns-weniger-sorgen-und-mehr-nachdenken-ld.1550672?mktcid=smsh&mktcval=E-mail
>
> Ich finde seine Fragen und Gedanken sehr interessant und berechtigt,
> beobachte ich doch u.a. schon lange eine Zunahme der Angst (Seuche)
> und Aktivismus (Seuche) als Indiz, einer Verängstlichung der
> Gesellschaft, Angst vor Fremden, Angst vor wirtschaftl. Not, Angst vor
> …, immer höheres Sicherheitsbedürfnis mit Rückzug in den
> Nationalstaat, in seine Festung. (Warum ist die AFD so stark? Hmm…).
> Ausserdem beobachte ich einen immer stärkeren und schneller werden
> Aktivismus, Machtübernahme expressiver Menschen (Populisten,
> Influencer), die uns mit tweeds zustopfen – Hauptsache lautstark,
> schnelle und einfache Lösungen präsentieren.
> Gerade in Notzeiten werden anscheinend noch mehr Infos, noch mehr
> Vorschriften, Massnahmeregeln, etc. produziert, anstatt sich für die
> Krise und in der Krise auszuruhen. Letzthin hörte ich, dass man sich
> im home office mittags virtuell zu gemeinsamer Pause trifft, um sich
> auszutauschen, wie wahnsinnig produktiv man im home office arbeitet
> und welche tollen Ideen man wieder hatte. Was ist mit denen, die da
> nicht mehr mit kommen, die das „ Spielchen“ nicht mehr mitspielen
> wollen und einfach ihre „Zwangsruhe“ zum Ausruhen benutzen oder sogar
> geniessen wollen? Angststörungen, Burn out nehmen immer stärker zu!
>
> Wäre das nicht eine Chance für die Gesellschaft? Dazu ein Text von der
> aktuellen Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk, “Jetzt kommen neue
> Zeiten“ im Anhang, den ich sehr schön finde.
>
> Folge ich den Gedanken Agamdems dann haben wir es mit der Wissenschaft
> als neue Religion zu tun und unsere Bundeskanzlerin sagte in ihrer
> Rede, dass sie alles tut, was die Wissenschaft empfehle. (Leider nicht
> unbedingt, was Wissenschaftler beim Klimaschutz vorschlagen,
> etc…lassen wir das… es wird sonst endlos)
>
> Nun kommt noch mein fast liebster zeitgenössische Zenmeister Kodo
> Sawaki zu Wort:
>
> *Aus einem Radiointerview mit Kodo Sawaki 1965, *
> …
> /I: In diesem Fall übt die Wissenschaft heute ihre Autorität aus und
> beeinflusst jeden Aspekt des menschlichen Lebens./
> /S: Ja, ja/
> /Ich: Anstatt aufzuhören zu reden ../
> /S: Ja/
> /I: Die Wissenschaft schafft nacheinander verschiedene Theorien und
> produziert auch so viele Dinge. Alle Leute studieren sie. Im
> Allgemeinen schätzen wir es als treibende Kraft der menschlichen
> Zivilisation. Ich glaube, Zen geht in eine ganz andere Richtung als
> die Wissenschaft./
> /S: Ja, diese gehen sehr unterschiedliche Richtungen./
> /I: Aus welcher Sicht des Zen stimmt dann etwas nicht, was die
> Wissenschaft jetzt tut?/
> /S: Die Wissenschaft hat keinen Endpunkt, oder?/
> /I: Nein, aber gibt es einen Endpunkt im Zen?/
> /S: Menschen werden von der Wissenschaft benutzt, die keinen Endpunkt
> hat, nicht wahr?/
> /I: Na ja ../
> /S: Aber in der Welt der Wahrheit…/
> /Ich Ja./
> /S:… gibt es weder Anfang noch Ende./
> /I: Ok/
> /S: Immer, sowohl unter den Menschen des primitiven Zeitalter, als
> auch unter den Menschen des zivilisierten Zeitalter, gibt es etwas
> Gemeinsames. Zen kann auch auf die gleiche Weise in diesen gemeinsamen
> Bereich gehen. Wir können den gleichen Weg gehen und doch haben
> aufgrund der Entwicklung der Wissenschaft alle Menschen auf der Welt
> immer mehr Ängste. Wenn jemand den einen Knopf drückt, dann …(nukleare
> Waffen) (Heute: Wenn ein Virus kommt, dann…! Anmerkung Gyoriki)/
> /I: Ja/
> /S: Ha, ha, ha. Wir können nicht sagen, dass es keine Möglichkeit
> gibt, dass eine verrückte Person den Knopf drückt. Selbst wenn eine
> verrückte Person den Knopf drückt, sollte der Schaden, den wir haben
> würden, der gleiche sein. Wir können nicht sagen, wer das
> zivilisiertere Volk ist. Im Vergleich zu einer solchen Situation muss
> nur sitzen …/
> /Ich: Nun./
> /S: Viel sicherer sein. Wir Menschen werden nur immer beschäftigter
> und ängstlicher, wenn wir von der wissenschaftlichen Zivilisation
> benutzt werden. Ha,ha,ha…/
>
> Also auch Kodo Sawaki denkt, dass wenn wir von der wissenschaftlichen
> Zivilisation benutzt werden, immer mehr von Sorge und Aktivismus
> bestimmt werden, die uns nicht gut tut. Meine Frage also, gibt es noch
> das, was wir “den gesunden Menschenverstand“
> nennen und könnte nicht die Buddhist. Praxis ein gutes Medikament
> gegen Wissenschaftsgläubigkeit sein? Viele von Wissenschaftlern
> entwickelte Sachen (Photovoltaik) sind ja hilfreich, andere eher nicht
> (Nuklearwaffen). Wie mein Ordinationsmeister Michel Bovay immer wieder
> betonte: Wir müssen die Technik benutzen, sie nicht uns! Ebenso mit
> den Gedanken, wir sollten unser Hirn nutzen, nicht die Gedanken uns
> beherrschen.
>
> Wie also Aktivismus, Angst, Unheilsamen, entgegenwirken?…. Mit
> buddhist. Praxis: weniger Reden (Schweigen), weniger Aktivismus
> ( Reflexion), weniger Handeln (Sein), den Augenblick geniessen
> (tiefe Freude) – Praxis ohne Anfang und End über alle Gegensätze
> heraus (Shikantaza)
>
> Nehmen wie es kommt, Shoken Winecoff Abt von Ryomonji/Iowa
> veröffentlichte in der kleinen Lokalzeitung in Iowa monatlich kleine
> Aufsätze, hier einer der in diese Zeit passen könnte.
>
>
> /Frühlingsregen/
>
> /Wenn es regnet, sagt man, «der Phoenix ist glücklich». Der Regen
> tränkt die Erde. Grüne Sachen beginnen zu spriessen. Die Menschen
> mögen es die süssen Regentropfen auf der Zunge zu spüren. Doch der
> Frühlingsregen kann den Menschen auch Überschwemmungen und Chaos
> bringen. Manchmal bleibt das kalte und nasse Wetter einfach den ganzen
> Frühling hängen und man kann nicht in den Garten und auf die Felder.
> Warum kooperiert die Welt nicht mit mir und bringt den Frühling so,
> wie ich ihn benötige? Man sagt, es ist die Zeit zum endlich Rausgehen./
>
> /Und dann kommt der Sommer- er ist warm, angenehm und im Garten wächst
> alles. Aber er kann auch trocken und heiss werden, und wir kämpfen
> darum cool zu bleiben und beten für Regen. Wir hoffen, dass keine
> Dürre, kein Tornado oder andere Katastrophen kommen, aber es gibt
> keine Garantien. Es ist manchmal hart, dass zu erhalten, was das
> Universum schenkt./
>
> /Manchmal sagen wir, das Leben ist nicht fair. Aber wer sagt denn, was
> fair ist? Alles hat seinen eigenen Rhythmus. Wir möchten die Dinge so,
> wie wir sie gerne hätten. Aber die Drehungen des Universum haben ihren
> eigenen Drall./
>
> /Lernen eins zu sein mit dem was ist, benötigt einen grossen
> menschlichen Geist. Es benötigt Demut, es braucht Mut und es braucht
> Vertrauen. Vetrauen ist mehr als Glauben. Vetrauen ist weitermachen.
> Man sagt, wenn du das Weitermachen aufrecht erhalten kannst,
> beherbergst du wahrlich den Gastgeber. /
>
> /Es ist wie der Drachen, der ins Wasser eintaucht und der Tiger, der
> in die Berge eintritt. Drachen und Tiger sind grossartige Kreaturen.
> Ihre Grösse ist, dass sie alles was ist mit ganzem Herzen umarmen. Sie
> werden eins mit dem Wasser und den Bergen. Das erfordert Stärke und Mut./
>
> /Das Leben hat seine ernüchternden Momente. Wer hat gesagt, es wird
> einfach? Ich habe nicht die Antworten. Ich werde verblüfft, wie jeder
> andere auch. Aber wenn du einen Atemzug nimmst und aufstehst — ist
> dies der Weg der Alten und der Heiligen. Das ist wenn der Fisch zum
> Drachen und das Kätzlein zum Tiger wird./
>
> /Es gibt viel mehr zu tun als dem Frühlingsregen ins Auge zu blicken.
> Wir alle müssen mit den grossen Herausforderungen von Leben und Tod
> umgehen. Jede Jahreszeit ist wie sie ist und so ist es auch mit Leben
> und Tod./
>
> /Wir sind alle nur ein kleiner Atemzug des Universums. (Shoken Winecoff)/
>
> Ich hoffe, ihr konntet mit diesen Texten, Hypothesen, Fragestellungen
> was anfangen? Hoffe ihr könnt die Stille in euch errichten, denn wie
> Okumura Roshi immer wieder sagt, das wichtigste ist, das wir das
> Kloster in uns errichten. Praxis hier geht soweit weiter, wenn auch
> anders und weiterhin im kleinen und feinen Rahmen und hoffentlich bald
> mal wieder mit euch!!
>
> Tiefes Gassho und Frieden euch allen im Universum!
> Gyoriki